Materia Medica Studium

 

 

Die Materia medica ist das Wichtigste und Unentbehrlichste in der Homöopathie und steht an der Spitze dieser Wissenschaft.

Wenn daher von einem homöopathischen Lehrstuhl auf Universitäten die Rede ist, so würde sich dieser Wunsch auf einen solchen für die homöopathische Arzneimittel-Lehre beschränken dürfen...
[1]       

Wie bereits erwähnt und bekannt, sind schon bei der Anamneseerhebung
 profunde Arzneimittelkenntnisse nötig, ohne die nur eine geringere Anzahl charakteristischer Symptome ermittelt werden können, wobei dann diese oft auch nicht als solche erkannt werden. Ohne vollständiges Krankheitsbild (und ggf. die körperliche Untersuchung) wiederum sinken die Chancen für eine erfolgreiche Mittelwahl. Bei der Analyse der Anamnese ist eine gute Mittelkenntnis wichtig für die Entscheidung über das grundsätzliche Vorgehen – Repertorisation oder nicht – , für die Wertung der Nebensymptome und Wechselwirkungen, um Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen, bei Berücksichtigung der Krankheitssphäre, für anamnestische, miasmatische und ggf. histologische und pathologische Erwägungen und beim anschließenden Materia medica Vergleich (incl. Vergleich des Wirkcharakters der Mittel mit dem Krankheitsgenius) und der Wahl von verwandten Folgemitteln.       

Am Studium der Materia medica („...ich meine nicht das Auswendigwissen von einer Menge, ohne gegenseitigen Zusammenhang dastehender Symptome, wie es bei den Laien in der Heilkunst vorkommt...
[2]) führt also kein Weg vorbei, und es kann durch kein Repertorium, gleich welcher Art, vollständig ersetzt werden.[3] Im übrigen ist es, wie auch schon erwähnt, besser, eine geringere Zahl gut geprüfter Mittel
 möglichst genau zu kennen, als eine möglichst große Zahl von Mitteln nur oberflächlich.

Ein besonderes Licht auf die schon 1856 problematische, und heute wieder aktuelle, immer größere Ausdehnung des Mitteltableaus, werfen ein paar Absätze aus Jahrs „Lehren und Grundsätze...“: „...Übrigens ist auch das wohl zu bedenken, daß unsere Wissenschaft sich stets in eben dem Grade mehr verflacht, als ihr Umfang sich über weitere Mittel ausbreitet, und unsere Kenntnisse der Wirkungen einzelner Mittel um so oberflächlicher zu werden drohen, je mehr uns deren geboten werden, so daß wir zuletzt leicht dahin kommen könnten, gar keine Mittel mehr genau und gründlich zu kennen, und in Folge dieser Unkenntnis immer nach neuen Mitteln zu suchen, ohne je das zu finden, was wir schon lange hätten haben können, wenn wir nur das zu benutzen verstünden, was wir bereits besitzen.

Es ist eine leidige böse Krankheit, immer nach Neuem zu haschen und zu glauben, die gebratenen Tauben werden uns damit in den Mund geflogen kommen und uns das Denken, das Suchen und das Studieren ersparen, und es hat diese Krankheit schon gar viel Unheil in unserer Schule angerichtet und uns das Zurechtfinden unter dem ungeheuren Ballast von Mitteln und Symptomen nicht wenig erschwert.

▶ Die ersten Schüler Hahnemanns, welche höchstens nur einige und dreißig Mittel zu studieren hatten, kamen mit diesen wenigen oft viel weiter und viel schneller zum Ziel, als wir heute mit unseren 3 bis 4 Hunderten, weil sie jene Mittel gründlich kannten und darum auch da anzuwenden wussten, wo wir heute vielleicht meinen, es existiere gar kein homöopathisches Mittel dagegen.[4] [Hervorhebungen durch den Bearbeiter]

Wer einmal auch nur die als besonders wichtig oder charakteristisch angegebenen Symptome und Symptomenfragmente aller 125 Mittel des TT46 plus 15 wichtiger weiterer Mittel, aus den einschlägigen Quellen Bönninghausens, Hahnemanns, Jahrs, Herings, zur Lippes, Bogers, Clarkes (und einiger anderer) zusammengetragen hat, wird feststellen, dass man es dann schon mit über 30 000 Symptomen und Symptomenfragmenten zu tun hat, was dann das Verlangen, noch zahlreiche neue Mittel zu prüfen und in die Materia medica einzuführen, auf ein notwendiges Maß begrenzt.

Auch die jeweiligen Quellen für das Materia medica Studium sind sehr wohl zu erwägen. Für die Unsicherheit und das Schwanken bei der Wahl der Mittel bei den Homöopathen um 1844 (im Gegensatz zu früheren Zeiten der Homöopathie, der sogenannten Kindheit der Homöopathie) macht v. Bönninghausen zum großen Teil den Umfang und den Zustand der AML verantwortlich. Er nennt die Unbrauchbarkeit der meisten Arzneiprüfungen der neueren Zeit, die für den Augenblick ebenso nutzlosen, an vielen Orten mitgeteilten Symptomen-Fragmente sonst in ihren Wirkungen ganz unbekannter Arzneien und die mit Hypothesen überfüllten Abhandlungen von der Wirkungsart einzelner Mittel.[5]

 

· Als Mahnung und Warnung, wie man es nicht machen sollte, sei hier, wegen besonderer Wichtigkeit, auch C. HERING zitiert[6] [Hervorhebungen bei den nachfolgenden Zitaten - in Fettdruck - durch den Bearbeiter]:

(bei Beachtung kann man unglaublich viel Zeit sparen, bzw. verhindern, diese zu verschwenden.)

o Der gewöhnliche Weg die Mittel kennen zu lernen, bloß durch Übung während der Praxis, ist kein Studium der Mittel und es bedarf dazu keiner Anweisung. Sehr viel Zeit und sehr viel Mühe muß dabei aufgewendet werden, ohne daß eine eigentliche Herrschaft über die Mittel erlangt wird; manchem homöopathischen Praktiker wird dabei zu Mute sein wie dem, der im Rade tretend eine Maschine bewegt, ohne selbst von der Stelle zu kommen.      

o Wer sich an Anderer Erfahrungen hält und durch Repertorien schnell sowohl bei einzelnen Wahlen zur Entscheidung kommen will, als überhaupt zu allgemein entscheidenden Ansichten über die Mittel, der bleibt in steter Abhängigkeit und dreht sich nur in den Kreisen herum, die andere vorgeschrieben haben.

o Wem nur die eigenen Erfahrungen eine Mittelkenntnis verschaffen sollen, der bekommt auch nur eine sehr beschränkte: unvollkommen in Bezug auf einzelne Mittel, wenn sich zufällig dieses oder jenes Zeichen als ein besonders wichtiges eingeprägt hat, weil dann die übrigen selten oder nie beachtet werden ... unvollkommen endlich in Bezug auf unseren ganzen Mittelschatz, weil in dessen Kenntnis viele große Lücken bleiben müssen, ein kleiner Kreis Lieblingsmittel sich bilden wird, lauter solche von denen man etwas allgemeines, etwas entscheidendes, wahlbestimmendes weiß oder zu wissen wähnt. In der Mehrzahl alltäglicher Fälle werden diese Lieblingsmittel sehr oft gegeben werden, wo sie nicht passen und nichts helfen, eine Menge Mittel werden nur nach einzelnen Symptomen benutzt, eine große Menge ganz und gar nicht. In wichtigeren, seltneren Fällen, wo dann der höchste Fleiß aufgeboten werden soll, hilft dann auch dieser nicht so plötzlich; bald scheinen mehrere Mittel ganz gleich zu passen, so daß oft zwischen zweien kaum entschieden werden kann, bald scheint wieder kein einziges Mittel zu passen.

o Auswendiglernen‘ wäre ein allzu törichter Vorschlag, nicht nur der Mehrzahl unmöglich, sondern auch, wo es möglich wäre, ohne allen Nutzen...Wer die Zeichen eines Mittels der Reihe nach hersagen kann, wird dadurch doch nicht der Kombinationen derselben mächtig und diese sind es, welche wir brauchen. In der Praxis machen wir niemals Anwendung von dem ganzen Konvolut aller Symptome, sondern immer nur von der besonderen Kombination eines kleinen Teils derselben.    

o Die allgemeinen Symptome jeder Krankheitsform können durch sehr viele Mittel gedeckt werden, und jedes Mittel enthält die Zeichen einer überaus großen Menge Krankheitsformen. Daß jedes Mittel seine eigentümlichen Charakterzüge habe, die auch in jeder solchen Gruppe sich zeigen müssen, ist eine Annahme, die zwar niemand im geringsten bezweifeln wird, die aber das Ziel nur von ferne zeigt...Bis jetzt sind nur von einigen wenigen Mitteln Bruchstücke solcher Charakterzüge bekannt. Diese kann jeder bald auswendig lernen; aber das kann kein Studium der Mittel genannt werden. Ein eigentliches Studium der Mittel ist vielmehr der Weg zu immer neuen Entdeckungen solcher Charakterzüge, die während der Praxis bald hie bald da hervortreten; zugleich werden dadurch manche bekannte Kautelen von dem ungebührlich hohen Ehrensessel, welcher denselben vom Schlendrian eingeräumt wurde, herunter genötigt.

Sich mit den sogenannten Hauptzeichen bekannt zu machen und z.B. erst aus einem Auszug, wie Jahrs Handbuch, die hervorgehobenen Sätze wieder auszuziehen, und diese einzulernen, ist der kürzeste Weg zur Praxis, aber auch der beste zur bleibenden Mittelmäßigkeit. Wen das Leben zum Handeln drängt, der ergreife diese Methode...Er vergesse aber nicht, sobald er kann, auch für bleibenden Grundbesitz zu sorgen...Die Hauptzeichen, welche wir jetzt bei den Mitteln hervorheben, sind meistens ungenügend, hemmen das schärfere Individualisieren und verführen zum Schlendrian.   

o Wenn man während der Praxis ein Mittel auch noch so aufmerksam vergleicht mit dem Krankheitsfall, so kann dies doch nur wenig zur Kenntnis desselben helfen, und kann kein Studium genannt werden, weil man dann alles nur in Bezug auf einen vorliegenden Fall ansieht. Studium eines Mittels ist Betrachtung der Zeichen und Heilwirkungen ohne allen Bezug auf einzelne Fälle oder einzelne Krankheiten; Betrachtung aller Wirkungen eines Mittels als zusammengehörend, aller einzelnen Zeichen, als Teile eines Ganzen. Die vielen einzeln beobachteten und gesammelten Befindensveränderungen werden hierbei als Zeichen einer und derselben künstlichen Krankheit angesehen, als zu einem Krankheitsbild gehörig.  

·   In derselben Arbeit schreibt C. Hering später, wie ein Mittel zunächst einzeln für sich zu studieren ist, ohne die Zeichen auswendig zu lernen, nämlich ebenso wie die ganze Materia medica, durch Vergleichen:     

o Man liest die Zeichen des Mittels mehrere Male aufmerksam vom Anfang bis zum Ende durch. In den ersten Jahren des Studiums stets mit der Feder in der Hand. Man achtet beim Lesen immer auf das Eine oder Andere besonders. Anfangs auf die Organe, an denen die Zeichen vorkommen. Man bemerkt sogleich, daß manche Organe oder Systeme vorzugsweise ergriffen werden. Diese zeichenreichen Organe betrachtet man hierauf nach ihrer physiologischen Verwandtschaft...“ [Nicht kursive Hervorhebung durch den Bearbeiter]

Dabei versucht man dann, wie Hering weiter ausführt, möglichst viele gedankliche Verknüpfungen mit bereits vorhandenem Wissen, wie z.B. mit physiologischen Sätzen herzustellen. Als Beispiel: ...das Ohr ist der Knochensinn, bei Knochenschmerzen oder Knochenbeulen werde ich daher auch die Zeichen des Ohres wieder betrachten...Auf diese Weise belebt man gleichsam die Zeichen während dem ersten Durchlesen und Vergleichen

[Das Ohr als Sinnesorgan und die Knochen als Gewebe sind in der traditionellen chinesischen Medizin beide dem Funktionskreis Niere/Blase zugeordnet, ebenso wie die Angst als Gefühlserregung oder die Willenskraft als geistige Fähigkeit und die maximale Energieversorgung ist von 15 bis 17 (Blase) bzw. 17 bis 19 Uhr (Niere), die minimale 12 Stunden früher und später, die zugeordnete Jahreszeit ist der Winter, und die zugeordnete Farbe schwarz (z.B. schwärzlicher Teint).]        

o Bei einem zweiten Durchlesen des Mittels achte man vorzugsweise auf die Art der Zeichen, wozu das vorige Lesen gleichsam die Vorbereitung war. Man vergleicht die Arten der Schmerzen an verschiedenen Teilen, betrachtet alle gleiche, ähnliche oder nahe verwandte Schmerzen oder andere Empfindungen, die an verschiedenen Orten bemerkt worden sind...Dabei muß man aber darauf achten, an welchem Ort diese Schmerzen besonders vorkommen, z.B. ob die Brennschmerzen mehr in den Schleimhäuten sind oder mehr in den Gebieten seröser Häute oder wo sonst...Man wird bald finden, daß gewisse Schmerzen in gewissen Organen und Systemen vorherrschen, z.B. das Reißen in den Muskeln, das Stechen in der Brust, das Schneiden im Leibe...dies trägt zum leichteren Behalten direkt und indirekt viel bei, denn man wird aufmerksamer auch auf die bei einem Organ ungewöhnlichen Schmerzen. Ferner behält man eine Menge Zeichen auf einmal und zwar leichter in Verbindung, wenn man die verwandten Zeichen eines Mittels zusammenstellt, z.B. bei Aurum: der Blutandrang nach dem Kopf, nach der Brust, nach den Augen, den Zahnschmerz davon, den Blutandrang nach den Unterschenkeln und mehrere andere Zeichen, die man damit in Verbindung bringen kann...“ Das Einprägen der Gemütszeichen wird durch ein Parallelisieren mit korrespondierenden Zeichen anderer Organe erleichtert.

o Bei einem dritten Durchlesen achte man auf die Bedingungen der Zeichen...Hierbei hüte man sich vor dem Hinstellen allgemeiner Sätze, z.B. ‚Abends schlimmer‘, ‚bei Bewegung schlimmer‘ u. dgl.; dies hilft wenig zur Kenntnis des Mittels und schadet oft bei der Wahl; was wir zu wissen nötig haben, ist: was für Zeichen Abends oder bei Bewegung schlimmer werden. Wo möglich muß man diese Zeichen durch eine verbindende Idee zusammenzufassen suchen.         

o Ebenfalls hüte man sich vor der Annahme des Gegenteils; daraus, daß ein Mittel viele Zeichen hat, die schlimmer in Ruhe werden, folgt nicht daß es Besserwerden bei Bewegung habe und umgekehrt. So hat z.B. Dulc viele Zeichen besser bei Bewegung, aber sehr wenige schlimmer in der Ruhe.     

o Man könnte das Mittel noch ein viertes Mal durchlesen mit besonderer Hinsicht auf die Verbindungen der Zeichen, indem man ganz besonders darauf achtet, welche Zeichen nach einander oder zugleich auftreten...Man hüte sich, das Vorurteil zu fassen, als könne ein Mittel nur solche Zeichen-Gruppen, wie es im Zusammenhang hervorbringt, bei Kranken heilen; es kann auch Gruppen heilen, die es gar nicht in diesem Zusammenhang hervorbrachte, deren Bestandteile bei vielen verschiedenen Prüfern und oft in ganz anderer Ordnung entstanden.“ [Nicht kursive Hervorhebung durch den Bearbeiter]

Um dieses Büchlein nicht über Gebühr aufzublähen, wurden hier nur wichtige Punkte auszugsweise zitiert, am besten ist es natürlich, den ganzen Artikel Herings zu lesen und zu studieren, dies gilt auch noch für das aus diesem Artikel weiter unten zitierte.

 

 

 

[1] AHP 11 Anm. (1863)
[2] KMS 245 (1840)
[3] TT46 V (Oktober 1845)

[4] G. H. G. Jahr, Die Lehren und Grundsätze der gesamten theoretischen und praktischen homöopathischen
   Heilkunst..., Paris 1856, § 171, die letzten drei Absätze

[5] KMS 329-331 (1844)

[6] „Über das Studium der homöopathischen Arzneimittellehre“ ACS 17 (1838), 1, 87-108, und schon vorher
  veröffentlicht in „Wirkungen des Schlangengiftes; zum ärztlichen Gebrauche vergleichend
  zusammengestellt durch Constantin Hering“ Verlag E. Kummer, 1837


Wieder v. Bönninghausen:


Es gehört nämlich ein entschiedenes Talent und ein eiserner Fleiß dazu, um mit dem Hauptteil dieser Lehre, nämlich mit den reinen Wirkungen der Arzneien, vollkommen vertraut zu werden...
[1] [Hervorhebungen durch den Bearbeiter]

Zu den Schwierigkeiten beim Studium der Prüfungssymptome schreibt v. Bönninghausen:

Wenn eine Menge von Symptomen dadurch unvollständig wird, dass entweder die genaue Angabe des Körperteils, oder jene der Empfindungen, am häufigsten aber die der Verschlimmerung oder Besserung durch Zeit, Lage und Umständen dabei vermisst wird: so werden die Schwierigkeiten der richtigen Auffassung und Erkenntnis ihrer Werte für den Heilbedarf dadurch noch um so mehr erschwert, dass das Charakteristische sich nie in einem einzelnen, auch noch so vollständigem Symptom ausspricht[2], dass die Individualität des Prüfenden durchgängig auf die Prüfungen einen bedeutenden, leicht irreleitenden Einfluß übt, dass überdem, neben manchen Wechselwirkungen untergeordneten Ranges, auch Nachwirkungen mit unterlaufen, und dass überhaupt der Wert oder Unwert der meisten Zeichen erst durch mühsame Vergleichung des Ganzen, niemals aber ohne Vorstudium im Augenblick selbst, wo man dessen bedarf, aus der bloßen reinen Arzneimittellehre beurteilt werden kann.[3] [Hervorhebungen durch den Bearbeiter]

Selbst 16 Jahre später betont v. Bönninghausen noch: „Unsere reine AML liegt in der Tat zum größten Teil noch als bunter Haufen von ungeordnetem und unbearbeitetem Material da, und es fehlte bisher an einem tüchtigen Baumeister, um daraus ein, in allen Teilen vollendetes und jedem Bedürfnisse entsprechendes Gebäude aufzuführen. Allerdings lässt sich die große Schwierigkeit eines solchen Werkes nicht verkennen, die nur durch den angestrengtesten Fleiß eines umsichtigen und erfahrenen Mannes, unter Begünstigung der hinreichenden Muse, herzustellen ist.[4] [Hervorhebung durch den Bearbeiter]

An dieser Stelle verweist v. Bönninghausen auf die grundsätzliche Wichtigkeit einer, dem Bedürfnis der Homöopathie entsprechenden, wissenschaftlichen Bearbeitung der Reinen Arzneimittellehre.

·    Als Anfänger glaubt man fast in jedem, von den vollständig ausgeprüften Mitteln die Elemente beinahe jeder Krankheit zu finden. „Diese Täuschung, die aber nur zum Teil diesen Namen verdient, verschwindet nicht eher, als bis man durch Vergleichung der Prüfungssymptome zweier oder mehrerer Arzneien die Unterschiede gefunden hat, welche zwischen ihnen obwalten. Noch deutlicher treten diese Unterschiede hervor, wenn es sich um die Anwendung handelt...Bei wiederholter und vielseitiger Vergleichung der von dem Prüfer beobachteten Symptome mehrerer Arzneien ist es zwar nicht schwer, sehr bald eine ansehnliche Menge von Verschiedenheiten aufzufinden, allein der Wert derselben ist keineswegs von gleichem Gehalt und, was noch weit schlimmer ist, bei sehr vielen Mitteln fehlt gerade da, wo man dessen am meisten bedürfte, dasjenige in der Beobachtung, was vorzüglich zum Anhalt bei der Vergleichung dienen muß. Dieser Mangel...muß nun, während der Vergleichung selbst, anderweitig und zwar zunächst aus der Gesamtheit der Symptome jeder Arznei und aus dem dadurch erkennbaren Genius derselben ergänzt werden. Dieses ist aber, begreiflicher Weise, eine ebenso schwierige, als mühsame Aufgabe...[5] [Hervorhebungen durch den Bearbeiter]     

In einem ersten Schritt müssen also beim Studium der AML die Prüfungssymptome der jeweiligen Arznei vervollständigt und genauer bestimmt werden. Dies geschieht durch Analyse der Gesamtheit der Symptome nach verschiedenen Richtungen hin und dem daraus erkennbaren Genius des Mittels.

 V. Bönninghausen beschreibt dies 1844 anschaulich an Hand der AMP der Asa foetida von Franz, veröffentlicht 1822 in Stapfs Archiv. Dabei kritisiert er, dass auch 20 Jahre nach der Prüfung in den damals ausführlichsten Werken[6] die Charakteristik und der Genius des Mittels unscharf bleibt, da die Häufigkeit der vorkommenden Empfindungen und das ganz besonders Charakteristische dabei nicht hervorgehoben und dadurch erkennbar wird. Die für die Asaf ganz besonders charakteristischen stechenden Schmerzen, haben alle, soweit in den Prüfungssymptomen vermerkt, das ebenfalls ganz besonders Charakteristische, dass diese Stiche nur von innen nach außen gehen:

Hiernach müssen also zuvörderst die Symptome 35, 47, 48, 58, 85, 86, 88, 89, 90, 91 usw., wo [wie bei diesen genannten Symptomen] obiges nicht ausdrücklich angemerkt und bloß von Stechen ohne nähere Beziehung die Rede ist, vervollständigt und genauer bestimmt werden. Wenn nun aber ferner bei Nase, Ohren, Lippen, Kinn, Zähnen usw., keine Symptome von Stechen beobachtet und angeführt sind, so ist daraus keineswegs der Schluß zu ziehen, daß bei stechenden Schmerzen in diesen Teilen, wenn sie anders der Eigentümlichkeit des Mittels entsprechen und die übrigen begleitenden Symptome zutreffen, die Asa foetida das Heilmittel nicht sein könne; und in der Tat habe ich selbst bei stechend-brennenden Zahn- , Ohren- und Gesichtsschmerzen, die absatzweise kamen und nur wie von Innen nach Außen gehend gefühlt wurden, und wo die sonstigen charakteristischen Zeichen genau passten, oder sonst nichts Widersprechendes vorwaltete, mit diesem Mittel schnelle und dauerhafte Hilfe gebracht.[7] [Nicht kursive Hervorhebungen durch den Bearbeiter]     

Hier ist übrigens gut das Konzept des TT46 zu erkennen. Fast noch wichtiger als die Verschiedenartigkeit der Empfindungen und äußeren Erscheinungen, sind die Modalitäten, da man ohne sie oft nicht in der Lage wäre, zwischen den Mitteln zu differenzieren, da die meisten Mittel fast alle gewöhnlichen Schmerzempfindungen in der Prüfung erzeugen. Jedoch auch die Modalitäten müssen aus der Charakteristik des Heilmittels
ergänzt werden: „und zwar hier [bei den Modalitäten] um so mehr, weil gerade in dieser Beziehung die Mängel und Lücken bei den Prüfungssymptomen noch um ein bedeutendes größer sind, als bei jenen [bei den Empfindungen und äußeren Erscheinungen].[8]
  

▶ "Bei solchen nötigen Vervollständigungen und genaueren Bestimmungen der Prüfungs-Symptome sind vorzüglich dreierlei Punkte zu beachten" [Hervorhebung durch den Bearbeiter]:

o    Der Erste ist die, zur Charakteristik einiger Arzneien gehörige Eigentümlichkeit, nicht die Gesamtheit der Beschwerden zu derselben Zeit oder unter denselben Umständen zu erhöhen, sondern das eine Mal diese, das andere Mal jene mehr hervortreten zu lassen...

[dies betrifft also die SPEZIELLEN oder lokalen MODALITÄTEN]

o    Der zweite Punkt besteht darin, daß bei entgegengesetzten Beschwerden und Zuständen, welche beide krankhafter Natur sind, wohl erwogen werden muß, welches von beiden eigentlich das Prädikat der Verschlimmerung verdient...


(Hier folgt das Beispiel von Nux-v, die ihre meisten Verschlimmerungen beim Gehen in freier Luft hat, und der wenig belästigende Stockschnupfen im Freien ist trotzdem, als eine, für die Nux-v sehr charakteristische Unterdrückung einer Absonderung, als Verschlimmerung zu werten.)

o      Ein dritter Punkt, der besonders da, wo mehrere Mittel konkurrieren und mit einander um den Vorrang streiten, die Wahl bedeutend befördert, ist die sorgfältige Erforschung der speziellen Teile, nicht bloß des Körpers, sondern selbst jeder Unterabteilung, jedes Organs oder jedes Gliedes insbesondere (auch der Einzelheiten des Gemüts, und Verstandes) worauf jede Arznei vorzüglich ihre Kräfte äußert, eine Untersuchung, welche bei manchen Mitteln die schwierigste von Allen ist, und worin man es erst durch vieljährige angestrengte Übung und fortgesetzte Beobachtungen zu einer gewissen Fertigkeit und Zuverlässigkeit bringen kann.[9]

So und nicht anders muß,... die reine Arzneimittellehre nicht bloß gelesen, sondern studiert werden; und erst dann, wenn der angehende Homöopath diese Schule fleißig und beharrlich durchgemacht hat, wird er im Stande sein, ohne die, großenteils nur unvollständigen Symptome zusammen zu `buchstabieren´, mit Sicherheit für jeden Fall das passendste Heilmittel aufzufinden.[10] [Nicht kursive Hervorhebung durch den Bearbeiter]

Auch das Therapeutische Taschenbuch kann, als schon von kundiger Hand ausgearbeitete Vorlage, zur Vervollständigung und genaueren Bestimmung der Prüfungssymptome verwendet werden. Einer der beiden Zwecke des Therapeutischen Taschenbuches ist „um beim Studium der reinen Arzneimittellehre als ein Leitfaden zu dienen, vermittelst dessen man sich gehörig orientieren, über den größeren oder geringeren Wert jedes Symptomes ein Urteil fällen kann, und die Arzneimittellehre selbst vervollständigen und schärfer bestimmen kann.[11]

[Hervorhebungen durch den Bearbeiter]
 

Beim Studium der RAL habe ich es am einfachsten und förderlichsten gefunden, nach der Ordnung dieses Taschenbuches jedesmal alle, durch die oben erläuterte Auszeichnung des Drucks bezeichneten charakteristischen Zeichen, am besten in den Originalwerken, sonst aber auch in meinem oder einem anderen Repertorium etwa mit Blei zu unterstreichen und die fehlenden nachzutragen, was wenig Zeit und Mühe kostet und dann eine leichte Übersicht gewährt, welche nach Maßgabe weiterer Erfahrungen immer mehr vervollständigt werden kann. In solcher Weise erlangt man nicht nur eine gründliche Kenntnis von den wichtigsten Zeichen und von dem Genius jedes Mittels, sondern auch eine bleibende schriftliche Sammlung des Wissenswertesten...[12] [Hervorhebungen durch den Bearbeiter]

·     Ein weiterer wichtiger Schritt beim Studium der AML ist der Vergleich von zwei oder mehreren Arzneien, möglichst von nahe verwandten, um die zwischen ihnen bestehenden Unterschiede zu erkennen. Wie oben schon zitiert, ist jedoch der jeweilige Wert jener Unterschiede für die Praxis verschieden. Es ist daher vorzugsweise auf charakteristische Gegensätze zu achten.

Zu einem solchen vergleichendem Studium, dessen Unerlässlichkeit jedem wahren Homöopathen einleuchten muss, dienen, außer den Quellen [d.h. die Prüfungssymptome] und den Ergebnissen einer sorgfältigen, journalistisch geführten Praxis [Erfahrung am Krankenbett, dokumentiert in Krankenjournalen], ...auch noch insbesondere die repertorischen Übersichten[13], ohne welche eine Vergleichung des einen Mittels mit dem anderen wegen der übergroßen Menge des Materiales eine nicht zu bewältigende Schwierigkeit darbietet. Nur auf diesem Wege, und sicher weit mehr, als durch allgemeine physiologische Deutungen, erlangt man eine genaue und vollständige Kenntnis der Arzneien in Beziehung auf ihre Eigenwirkungen, und nur von diesem Gesichtspunkte aus lassen sich die vielen, meistens unvollständigen Symptome mit Sicherheit individualisieren und für die therapeutische Anwendung brauchbar machen.[14] [Hervorhebungen durch den Bearbeiter]

Ein meisterhaftes Beispiel für das vergleichende Studium der Arzneimittellehre lieferte v. Bönninghausen in einem kurzen Aufsatz („Einige Bemerkungen über Mittelwahl und Mittellehre“, AHZ 63 (1861), Heft 11 S. 85-87, Heft 12 S. 93-95), in dem er die wichtigsten Verschiedenheiten der beiden oft ähnlichen Arzneien Calc und Caust hervorhob.[15]

(Im Okt. 1866 empfahl C. Hering in „Dr. H. Gross‘ Comparative Materia Medica“, um sich mit dem wahren Wesen der Arzneien vertraut zu machen, zunächst ein Mittel für sich alleine in einer einschlägigen AML nachzulesen[16] und anschließend in eben dieser von ihm bearbeiteten vergleichenden AML von R. H. Gross/C. Hering die verschiedenen Vergleiche des betreffenden Mittels mit anderen Mitteln zu studieren, um an Hand der Unterscheidungsmerkmale zu den anderen Mitteln eine klarere Vorstellung vom Mittelcharakter zu erlangen. Anschließend solle man das Mittel noch ein zweites Mal in der ersteren AML nachlesen.)

·        Dazu auch noch einmal C. Hering in oben zitierter Arbeit von 1837:  

o  Hat man auf diese Weise [s.o.] mit einem oder mehreren Mitteln sich vertraut gemacht, so geht man nun zu anderen über, am besten zu nahen Verwandten. Das Studium des zweiten Mittels ist schon etwas leichter, teils durch die erlangte Übung im Zusammenfassen der Symptome, teils weil sich, auch ohne daß wir uns dessen immer bewußt würden, alle Abweichungen von dem vorigen schärfer einprägen. Diese Abweichungen müßten wir uns daher ganz deutlich machen; sie müssen dienen zum besseren Behalten der Eigentümlichkeiten des zweiten Mittels, so wie zur Befestigung unserer Kenntnis des ersten. Man suche also in den vorherrschenden Symptomen sowohl, als auch in den leichter zu behaltenden einzelnen, seltsamen, auffallenden Symptomen, nach den Ähnlichkeiten und achte dabei zugleich auf die Unterschiede.      

o Die Methode beim Studium der ganzen AML besteht darin, daß man einige Mittel sehr sorgfältig sich einprägt, und dann die nächst verwandten; und so fort fährt und die anderen immer vergleichend den ersten anfügt...Hat man eine oder mehrere Familien nahe verwandter Mittel so bearbeitet, dann lassen sich die übrigen zunehmend leichter anreihen. Hat man einige Jahre auf diese Weise mit anhaltendem Fleiß gearbeitet, so kann man dann jedes neue Mittel nach einmaligem Lesen schon brauchen...Wem es aber an einer gehörigen Grundlage fehlt, dem sind alle Vermehrungen der AML eine unangenehme Last; er zeigt durch seine Unzufriedenheit, daß er das Alte noch nicht beherrschen kann.“ [Hervorhebung durch den Bearbeiter]

Wer dagegen die Mittel nach den Zeichen selbst, aber jedes Mittel für sich allein studieren will, und sie nicht in Verbindung bringen, der wird mit dem besten Gedächtnis nicht weit kommen, oder er hat das erste wieder vergessen. Das Gedächtnis behält nichts, als was ihm in Verbindung ist gegeben worden.“ [Hervorhebung durch den Bearbeiter]     

o Bei diesen Vergleichungen verlieren sich Anfänger leicht ins Einzelne, dann wird es eine ungemein mühsame Arbeit, und hat leicht zur Folge, daß sie ganz davon ablassen. Aber, um sich nicht zu viel ins Einzelne zu verlieren, um es zu lernen, wie man das Allgemeine schnell vergleichend auffasse, gibt es kein besseres Mittel, als die Mühen des Anfangs unverdrossen zu überstehen. Bei einer zweiten Vergleichung ist der Geist schon geübter, und je nachdem Anlagen und Vorkenntnisse zu Statten kommen, wird der eine schneller, der andere langsamer dahin kommen, die Vergleichung zweier Mittel in wenigen Tagen zu beenden.
 

o Man kann sich die Vergleichungen sehr leicht machen durch Rückerts systematische Darstellung; man sucht in jedem Abschnitt die beiden zu vergleichenden Mittel, durchliest die angeführten Zeichen derselben, und trägt das Resultat so auf Papier, daß man jedem der beiden Mittel eine Kolumne bestimmt. Was beide ganz gleich haben, schreibt man in die Mitte; bei bloßer Ähnlichkeit setzt man das Ähnlichkeitszeichen zwischen beide in die Mitte; Gegensätze oder scharfe Unterschiede hebt man hervor durch einen dazwischenliegenden Pfeil usf.“ [Hervorhebung durch den Bearbeiter]     

o Niemandem, am wenigsten Anfängern, wird es zugemutet, alle Mittel mit allen zu vergleichen. Jeder wähle sich hierzu einige, die er für ähnlich hält, und die als wichtige Mittel bekannt sind. Alle Mittel, welche hinsichtlich ihres Herkommens nahe verwandt sind, müssen es auch sein hinsichtlich der Zeichen; alle Mittel, welche in chemischer Hinsicht sich ähnlich sind; ebenfalls.

Soweit die Ausführungen Constantin Herings.


▶  Nach Hahnemann, zitiert von v. Bönninghausen, ist für die Erkenntnis der Arzneikräfte nicht die Signatur zu verwenden.[17]      

·      Wie heutzutage sogar noch besser bekannt, beinhalten Alkaloide nicht die ganze Wirkung von Heilpflanzen, dies sieht man z.B. an der nicht austauschbaren Wirkung von Nux-v und Ign, die beide als Alkaloid das Strychnin enthalten.[18]

Als einer der besten (oder sogar bester) Kenner der Materia medica seiner Zeit schreibt v. Bönninghausen am Ende seines Lebens:

Die, den Arzneien innewohnende Kraft besitzt, sobald sie (durch Potenzierung) gehörig entwickelt ist, einen Wirkungsumfang , der sich weit über die pathologischen Formen, aber niemals über den wahren Charakter jedes einzelnen Mittels hinaus erstreckt.[19]

Zum Charakter einer jeden Arznei gehört auch, obwohl noch von anderen Umständen im konkreten Fall abhängig, ihre Wirkungsdauer:

 

 

[1] HA XI (1853)
[2] Wie bereits erwähnt bezieht sich dies vermutlich nur auf die Prüfungssymptome der RAL, denen ohne
      gründliches Studium des Mittels nicht a priori angesehen werden kann, ob sie charakteristisch sind oder
      nicht, auch wenn sie vollständig sind.
[3] TT46 VI VII XXII (Oktober 1845)

[4] KMS 701 (1861)

[5] KMS 330-332 (1844)

[6] dem "Handbuch der homöopathischen AML" von Noack u. Trinks und Jahrs "Symptomen-Kodex"

[7] KMS 332-334 (1844)

[8] KMS 334 (1844)

[9] KMS 334-336 (1844)

[10] KMS 336 (1844)

[11] TT46 IX (Oktober 1845) (sinngemäß zitiert)

[12] TT46 XVII XVIII (Oktober 1845)
[13] evtl. meint er hier auch ein Symptomenlexikon, sicher aber auch das Therapeutische Taschenbuch
[14] KMS 700 (1861)
[15] KMS 694 ff (1861)
[16] hier nannte er besonders das „Text-Book of Materia Medica“ von Prof. Dr. Adolphus Lippe, Philadelphia, 1866
         – die
iwichtigen deutschen Quellen (wie v. Bönninghausen) sollten dabei allerdings besser im Originalwortlaut
        (ggf. unter Verwendung einer quellenorientierten Übersetzung) berücksichtigt werden!

[17] RAL Bd. 3, 2. Auflage, S. 20 21, zitiert in HOM 186 (1833)

[18] AHP 438 Anm. (1863)

[19] AHP 466 467 (1863)


 Ø Bei sehr fortgeschrittener Mittelkenntnis und Routine in der Anamnese braucht nur das
        jeweils für die Mittelwahl Wichtige aufgeschrieben zu werden, was allerdings eine Kunst ist. 
        Ein einziges charakteristisches und nach allen Richtungen hin vollständiges Symptom wiegt
        in der Regel bei der Mittelwahl weit schwerer als viele uncharakteristische und häufige
        Krankheitszeichen.

Ø Bei v. Bönninghausens Krankenjournalen wurde meist zehnmal mehr beobachtet und
       ausgefragt als aufgeschrieben, was ggf. beim Studium seiner Krankenjournale zu
       berücksichtigen ist.

 

Ø Das gründliche Studium der Materia medica an Hand wohl erwogener Quellen ist das
       Wichtigste und Unentbehrlichste beim Erlernen der Homöopathie und kann durch kein
       Repertorium vollständig ersetzt werden.

 

Ø Es ist besser, eine geringere Zahl gut geprüfter und mit großem Erfahrungsschatz weiter
       angereicherter Mittel möglichst genau zu kennen als eine große Zahl von Mitteln nur
       oberflächlich.

 

Ø Zur Erlangung einer fundierten Materia-Medica-Kenntnis sind die bloße Übung während der
       Praxis, Repertorien, ausschließlich die eigenen Erfahrungen und (wahlloses)
       Auswendiglernen nicht ausreichend zielführend.

       Das Erlernen der Hauptzeichen der Mittel ist der kürzeste Weg, führt aber nur zur
       Mittelmäßigkeit.

 

Ø Ein eigentliches Studium der Mittel erfordert Talent und eisernen Fleiß und ist der Weg zum
       Entdecken immer neuer Charakterzüge der Arzneien, bei Betrachtung der Zeichen und
       Heilwirkungen ohne allen Bezug auf einzelne Fälle oder Krankheiten.

 

Ø Das Studium eines Mittels kann durch vergleichende Untersuchung der vorzugsweise
       affizierten Organe und Lokalisationen, Empfindungen, Modalitäten und
       Zeichenverbindungen, unter Einbeziehung möglichst vieler gedanklicher Verknüpfungen mit
       schon vorhandenem Wissen erfolgen, sowie durch Vergleich der Mittel untereinander, v.a.
       der zueinander ähnlichen. Die jeweiligen Verschiedenheiten zwischen zwei Arzneimitteln
       sind von sehr unterschiedlichem Wert. Hierbei ist auch besonders auf charakteristische
       Gegensätze zu achten.

 

Ø Das Studium der Prüfungssymptome wird durch häufig fehlende Angaben von Körperteilen,
       Seiten, Empfindungen und besonders Modalitäten, sowie durch die Beeinflussung durch die
       Individualität der Prüfer, untergeordnete Wechselwirkungen und untermischte
       Nachwirkungen sehr erschwert.

 

Ø Der Wert oder Unwert der meisten Zeichen ergibt sich erst durch mühsames Vergleichen des
       Ganzen, fast nie jedoch ohne Vorstudium, im Moment wo man dessen bedarf, aus der
       bloßen reinen AML selbst.

 

Ø In einem ersten Schritt müssen beim Studium der AML die Prüfungssymptome der jeweiligen
       Arznei vervollständigt und genauer bestimmt werden. Dies geschieht durch Analyse der
       Gesamtheit der Symptome, nach verschiedenen Richtungen hin und dem daraus
       erkennbaren Genius des Mittels.

       Bei solchen Vervollständigungen und genaueren Bestimmungen der Prüfungssymptome ist
       besonders zu beachten, auf welche Symptome sich die jeweiligen Modalitäten beziehen; bei
       entgegengesetzen Beschwerden, welche von beiden eine Verschlimmerung darstellt, und
       das Augenmerk ist besonders auf die speziellen Lokalisationen und Wirkungsorte, sowie
       Einzelheiten des Gemüts und Verstandes der einzelnen Arzneien zu richten.

       Da sich das Wissen um die charakteristischen Eigenheiten der Arzneien nicht nur aus dem
       Studium der Prüfungssymptome, sondern auch aus sorgfältiger, anhaltender klinischer
       Erfahrung und genauer Beobachtung der Arzneiwirkungen ergibt, empfiehlt sich die
       Zuhilfenahme verlässlicher Werke, wie z.B. das TT46 (möglichst mit Dunham-Ergänzungen)
       und späterer Werke (z.B. HA, KV, KEU, AHP, WF).

 

Ø Das vergleichende Studium der AML kann z.B. auch durch die Verwendung von Rückerts
       „systematischer Darstellung aller bis jetzt gekannten homöopathischen Arzneien“, in
       2 Bänden, 2. Auflage, 1835, erleichtert werden.

 

Ø Als meisterhaftes Beispiel für ein vergleichendes Studium der AML durch Hervorhebung der
       wichtigsten Verschiedenheiten zweier ähnlicher Arzneien kann v. Bönninghausens Vergleich
       von Calc und Caust in KMS 694 ff dienen.

 

Ø 1866 empfahl C. Hering, um sich mit dem wahren Wesen der Arzneien vertraut zu machen,
        zunächst ein Mittel für sich alleine in einer einschlägigen AML nachzulesen (besonders
        Lippes „Text-Book of Materia Medica“) und sofort anschließend die verschiedenen Vergleiche
        dieses Mittels mit den anderen Mitteln in „Dr. H. Gross‘ Comparative Materia Medica“,
        Philadelphia und London 1867, zu studieren. Hierdurch erhielte man einen klareren Eindruck
        vom Mittelcharakter. Anschließend empfahl er das Mittel noch ein zweites Mal in der ersteren
        AML nachzulesen.

 

Ø Zum Wirkcharakter einer Arznei gehört auch ihre Wirkungsdauer (Erstwirkung plus
       Nachwirkung). Diese ist sowohl von der Eigentümlichkeit der Arznei als auch von der Art der
       Krankheit und der Konstitution des Menschen abhängig.